Reale Afrikabilder

Die Brückenbauer für EINE Welt initiieren die Ausstellung. TRG und LVND – Tilman-Riemenschneider-Gymnasium Osterode und das Lycée Valdiodio Ndiaye in Kaolack (Senegal)

„Wer die Jugend erreicht, erreicht viel.“ 

Alle Aktivitäten der schulischen, kommunalen und zivilgesellschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Osterode und Kaolack (Senegal) sind geprägt von diesem Satz, der Elhadj Diouf (den Mitinitiator der Schulpartnerschaft) durch sein viel zu kurzes Leben trug. Über einen beispiellosen deutsch-afrikanischen interkulturellen Austausch werden Juniorbotschafter entsandt, die nach ihren Reisen daheim vom realen Europa beziehungsweise Afrika berichten. Von ihrem letzten Besuch in Senegal brachte die diesjährige Delegation eine außergewöhnliche Projektarbeit mit nach Hause. Es entstand die Ausstellung „Reale Afrikabilder“, die den Jugendlichen einmalige Einsichten in das Leben verschiedenster Senegalesen bescherte und sie um unbezahlbare Erlebnisse reicher machte. Lassen auch Sie sich vom Zauber des Landes der Gastfreundschaft, von seinen Menschen und deren unbändiger Lebensfreude begeistern. 

Tobias Rusteberg, Lehrer am TRG und Initiator des Schüleraustausches, sorgt seit elf Jahren zusammen mit einem unermüdlichen Team Ehrenamtlicher dafür, dass die Schulpartnerschaft zwischen dem Tilman-Riemenschneider-Gymnasium Osterode und dem Lycée Valdiodio NDiaye in Kaolack lebendig bleibt. Während er von den Visionen seines Freundes Elhadj Diouf berichtet und darauf blickt, was seit dessen tragischem Unfalltod ganz in seinem Sinne realisiert werden konnte, baut sich eine ungeheure Energie um ihn auf. Kein Wunder, dass sich die Schüler des TRG immer wieder davon begeistern lassen, eine ganz besondere Reise zu unternehmen. Die Berichte vorangehender Juniorbotschafter über die Reisen nach und aus Kaolack machen zudem unglaublich neugierig. Die Mitteilung, dass man mitfahren und Teil dieses außergewöhnlichen Projekts sein darf, stimmt sofort sehr aufgeregt. Nach der Rückkehr hinterlässt das „Abenteuer Afrika“ bei allen jungen Reisenden ein großes Gefühl von Dankbarkeit.

In unserem Gespräch bemängeln die anwesenden Juniorbotschafter Niklas und Nele vor allem eines: „Es ist wirklich schade, dass Afrika im Erdkundeunterricht so negativ dargestellt wird. Dort wird auf die Armut, auf Energie- und Wasserprobleme und ärmliche Behausungen hingewiesen. Doch das entspricht ja nicht der ganzen Wahrheit und schafft leider viel zu negative Afrikabilder. Afrika ist auch jung, lebendig und voller Chancen. Viel zu selten findet man Beschreibungen des realen Lebens und des besonderen Umgangs der Menschen dort in einem wirklich herausfordernden Klima. Es gibt eine soziale Struktur wie wir sie hier in Europa überhaupt nicht kennen. Es ist nicht richtig, dass Afrika immer ein bisschen „von oben herab“ betrachtet wird. Man darf nie voreingenommen sein und muss einfach selbst erleben wie die Realität ist“, erklärt uns Niklas seine Sichtweise. Nele gibt zu bedenken: 

„Um eine andere Kultur kennenzulernen und eine Gemeinschaft bilden zu können, muss man über alles sprechen, nicht nur über die Probleme, die es in einem Land gibt. Man muss es im Ganzen betrachten. Am schönsten war es, wie wir in unseren Gastfamilien empfangen wurden.“ 

„Diese unglaubliche Offenheit und das große Interesse an uns werden wir nie vergessen“, schwärmen beide. „Das ist der Zauber, der mich immer wieder antreibt“, lächelt Tobias Rusteberg. „Egal ob jung oder alt, jeder, der mit  uns nach Senegal reist, kehrt anders zurück als er hingereist ist. Es geht darum, den Blick zu ändern, die Perspektive zu weiten, das „Hier“ einmal zu verlassen, um von dort aus drauf zu schauen. Die Brückenbauer, die mit uns in Afrika waren und zu Hause von ihrer Reise berichten, bewirken überall Unglaubliches.“ Niklas erinnert sich, an „big Africa“ und „eine absolut andere Welt.“ 

Schon nach der Abfahrt vom Flughafen ging es mit besonderen Eindrücken für die Delegation los. „Auf der Straße gelten ganz eigene Regeln, es gibt es keine sichtlichen Begrenzungen und nur wenige Schilder. Überall fahren Busse, Taxis, Roller und zwischendrin sieht man eine Charette, eine Kutsche mit einem Pferd vorneweg. Alles schlängelt sich wimmelnd durch den dichten Verkehr und mittendrin streiten sich bockige Ziegen auf der Straße oder es hüpft jemand auf einen fahrenden Bus bzw. klettert herunter“, schildert der Junior-Botschafter sichtlich berührt. Das, was nach organisiertem Chaos klingt, hat Nele gar nicht als chaotisch empfunden. Sie sagt, alles sei einfach bunt. „An den Straßenrändern stehen die Menschen, verkaufen ihre Dinge. Überall gibt es etwas zu sehen.“ Eine Schülerin hat das Land mit einem Wimmelbild verglichen, erinnert sich Rusteberg und Niklas stimmt sofort zu. „Das stimmt, auf jedem Zentimeter passiert etwas.“ Nele erklärt, dass die Menschen einfach alle draußen sind, während wir hier überwiegend im Haus sitzen. „Das Leben findet im Freien statt.“ Auch das hat Niklas nachhaltig beeindruckt. Er hat seinen persönlichen magischen Afrika-Moment auf der staubigen Straße gefeiert. 

„Kurz vor dem Sonnenuntergang spielten wir alle zusammen Straßenfußball. Das war für mich ein unvergesslicher Augenblick. 

Du gehst in dieser Woche immer durch die Straßen und siehst überall fußballspielende Kinder, bist eigentlich ein Außenstehender und dann war es nur ein kleiner Schritt und du gehörst dazu. Wir haben einfach alle miteinander gespielt, das war richtig toll.“ Niklas, der selbst gar kein Französisch spricht, bestätigt, dass es überhaupt keine Sprachbarriere gab und alles ganz unkompliziert verlief. Tobias Rusteberg freut sich. „Niklas wurde bejubelt und abgefeiert wie Messi beim WM-Finale als er einen tollen Schuss gemacht hat. In diesem Moment repräsentiert er für die senegalesischen Kinder Deutschland.“ Neid oder Zurückhaltung den Fremden gegenüber spielten nie eine Rolle. Für alle Osteroder Schülerinnen und Schüler ist es absolut besonders, jetzt Freunde in Afrika zu haben, mit ihnen zu schreiben und sich Videos zu schicken. „Wir unterhalten uns viel und ich kann miterleben, was sie machen. Das ist unglaublich interessant“, freut sich Niklas. Dazu wurden die Jugendlichen schon mehrfach dazu eingeladen, wieder einmal zu Besuch zu kommen. Andersherum ist es ganz genauso. Viele Senegalesen lernen Deutsch, wünschen sich hier studieren und arbeiten zu können. Für Niklas steht fest, dass er nach dem Abitur für die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) tätig werden, also Menschen in Not unterstützen möchte. Im Moment ist er aber genauso wie Nele und die weiteren neun mitgereisten Schülerinnen und Schüler damit beschäftigt, die Erfahrungen als Junior-Botschafter in jüngeren Jahrgängen und im außerschulischen Kontext weiterzugeben. Es ist ansteckend, wie begeistert die Beiden von ihrer Reise nach Senegal berichten.  Niemand sei voreingenommen, alle Menschen unglaublich hilfsbereit. 

Wir möchten wissen, ob die beiden das Gefühl gehabt haben, dass die Menschen in Senegal arm sind. „Nein“ sagen die beiden sofort und voller Überzeugung. „Das ist ja das Problem. Wir haben viel und wir meckern auch sehr viel“, bedauert Niklas. 

„In Senegal haben sie weniger, aber sie machen viel mehr daraus. Zum Beispiel ist es selbstverständlich alles, was man hat, zu teilen.“ 

Bei der Gelegenheit schwärmt der Schüler von der senegalesischen Küche. Scharf angebratener Reis mit Zwiebeln, Knoblauch und Gemüse hat es ihm besonders angetan. Wenn man die jungen Leute nach weiteren besonderen Momenten in Senegal fragt, dann erinnert sich Nele an folgende Begebenheit. „Als wir in der Grundschule Sam 2 alle zusammen versuchten, uns für ein Drohnenfoto als Smiley aufzustellen, haben alle Kinder so fröhlich gewunken und gelacht. Wir haben die pure Lebensfreude der Menschen hier besonders gespürt. (Auch zu sehen im Film, den Sie über den Link im Barcode erreichen.) Überhaupt begegneten wir während der gesamten Reise offenen und interessierten Menschen. Es war immer am schönsten, wenn wir alle zusammen, in der Gruppe mit unseren Corres unterwegs waren“, schwelgt Nele in Erinnerungen. 

Auch die Disziplin und Freude am Lernen in Klassen mit bis zu 70 Kindern hat die beiden Junior-Botschafter beeindruckt. Jedes Kind hänge dem Lehrer an den Lippen, alle melden sich und man hoffe auf die eine Möglichkeit, etwas zum Unterricht beitragen zu können. 

„Sie wissen alle, wie unglaublich wichtig eine gute Schulbildung für sie ist.“ Aber wie empfinden die senegalesischen Jugendlichen Deutschland?

Wenn sie hier sind, fehle ihnen häufig das Leben im Freien wie sie es von zu Hause gewohnt sind. Zudem habe man beobachtet, dass die Menschen hier immer rennen und mitunter hektisch seien. Wenn es Grund zur Eile gibt, sagen die Kaolacker häufig: „Komm, jetzt müssen wir deutsches Tempo machen.“ Dieser Austausch verändert ohne Frage Ansichten, ist für alle Beteiligten inspirierend und bereichernd. Wenn man Nele und Niklas fragt, ob sie sich von der Lebensweise der Afrikaner etwas abschauen können, so lautet ihre klare Antwort: „JA!“. „Ich habe es selten erlebt, dass Jugendliche so begeistert von einer Sache sprechen, wie die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an Begegnungsreisen“, erklärt Rusteberg. 

Mit genau dieser Begeisterung wurden während der elftägigen Zeit in Dakar und Kaolack reale Afrikabilder mit den Corres entwickelt, welche von nun als Wanderausstellung der hiesigen Öffentlichkeit präsentiert werden sollen. Konkret hat man inspirierende Menschen zu ihrem Werdegang und ihren Zielen im Leben befragt und so ein mannigfaltiges Bild des Senegals durch seine Bewohner selbst gezeichnet. Hinzu kommen unvergessliche Situationen, die fotografisch festgehalten und mit Schülertexten versehen wurden. Schirmherr der Ausstellung ist Dr. Karamba Diaby (MdB), welcher vor Jahrzehnten sein Abitur am heutigen Lycée Valdiodio Ndiaye in Kaolack abgelegt hat und sowohl seinem Geburtsland als auch dem Projekt des TRG sehr verbunden ist. 

Die Zusammenarbeit mit Dietrich Kühne (Fotograf und Geschäftsführer der Kroesing Media Group) erwies sich als „echtes Geschenk für unsere Brücke“, zeigt sich Rusteberg begeistert. Kühne ist selbst – auf eigene Kosten – mitgereist und er fotografierte die Portraits der befragten Menschen. So entstand ein beachtlicher Querschnitt durch die Gesellschaft, von der Reinigungskraft über die Lehrerin und den Fischhändler bis hin zum Präfekten. Herausgekommen ist ein tiefer Einblick in ein besonderes westafrikanisches Land, dessen Landsleute selbstbewusst sagen: 

„Wir sind reich im Herzen und im Boden.“ 

Auch die mittlerweile 21. Begegnungsreise bleibt für Tobias Rusteberg unvergesslich. Er ist sichtlich beeindruckt von den Schülerergebnissen, da diese es verstanden haben, ein relativ abstraktes Thema nah an den Menschen und mit ihren Corres vor Ort zu bearbeiten und zu einer hochwertigen Ausstellung werden zu lassen. „Natürlich gibt es auch in Senegal Herausforderungen. Das Land der Gastfreundschaft zeichnet sich aber durch so unglaublich viele positive Dinge aus, die es ebenfalls zu berichten gilt. Die Fragen, die die Projektgruppe ihren Portrait-Partnern gestellt haben, waren von beeindruckender Tiefe. Es ging nicht um Ängste, Sorgen und Klischees, sondern vielmehr um Fragen nach Glück, Visionen und Träumen. Im Zentrum standen persönliche Erfolgsgeschichten und die Antworten sprechen für sich“, so Rusteberg. Es scheint, als sei in der Partnerschaft zwischen Osterode und Kaolack nichts mehr unmöglich und so verwundert es kaum, dass die Delegation vor Ort auf einem ganz besonderen Terrain stand und dabei zusehen konnte, wie Stein auf Stein gesetzt wird. Ganz im Sinne des 2018 verstorbenen Elhadj Diouf  wird ein Bildungs- und Begegnungskomplex in Kaolack – bestehend aus Kindergarten, Grundschule und Sportkomplex – entstehen. Auch hier geht es um Jugend, Bildung und Perspektiven. „Unsere Ausstellung wird hoffentlich viele Menschen begeistern und zu einem positiven Blick auf den Chancenkontinent Afrika anregen“, formulieren die Jugendlichen ihren ganz persönlichen Wunsch an die Wanderausstellung. 

Sie haben Interesse und einen passenden Raum, um die Wanderausstellung einem breiten Publikum zugänglich zu machen? Nehmen Sie Kontakt zu Herrn Rusteberg (TRG Osterode) auf und bieten Sie den Juniorbotschaftern die Möglichkeit, auf ganz lebendige Weise von ihren Erlebnissen zu berichten. 

Informationen zur schulischen Arbeit mit Kaolack

TRG erhält ENSA – Sonderpreis zur Entwicklungspolitik

Im Fokus unserer Stiftungsarbeit stehen die Schwerpunkte Begegnung und Perspektiven mit dem Ziel, Jugendliche im interkulturellen Austausch zur Reflexion realer Lebensumstände, unterschiedlicher Kulturen und Lebensräume anzuregen.

Zusätzlich nimmt gerade die aktive Schaffung von Alternativen zur Heimatflucht eine strukturelle Rolle ein. Die Stiftung engagiert sich „auf der Brücke“ zwischen Senegal und Deutschland u.a. in den Bereichen Bildung, Medizin, Umwelt oder auch Sport. Initiierte Projekte in Senegal / Deutschland beinhalten jeweils als Grundsatz ein Konzept der avisierten Eigenständigkeit vor Ort nach 3-5 Jahren.

Die EDF ist ein nachhaltig langfristiges Projekt als unterstützender Bestandteil des von lokalen, nationalen und internationalen Gremien geförderten „EINE Welt-Modells“ (Zusammenarbeit auf Ebenen  der Schule, Kommune & Stiftung).

Informationen zur Stiftungsarbeit mit Kaolack: www.elhadj-diouf-foundation.de

Kontakt: tobias.rusteberg@iserv-trg-oha.de

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Über die Autorin /

Elke … freie Rednerin, Redakteurin. Hochzeitsverliebte, zuverlässige Frohnatur, die es immer nur ganz gibt.

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