Weinhof Nettesprung
…und dann kamen welche, die machten es einfach.

Eigentlich ist es ja in unseren Breitengraden nicht unbedingt üblich, schon vor dem Mittag mit einem süffigen Tröpfchen anzustoßen. Heute gibt es aber einen offiziellen Auftrag dazu – und selten war „Dienst“ so schön wie bei diesem Besuch in Herrhausen, dem kleinen Örtchen, in dem sich das Anhalten unbedingt lohnt. Auf dem Weinhof Nettesprung teilten wir mit Hendrik Klingsöhr das Glück, eine Flasche seines ersten eigenen Weins entkorken zu dürfen. Mit dem fruchtig-frischen Traubenelixier werden – inklusive der aufwendigen Arbeit – viel mehr als nur Klingsöhrs Träume wahr. Es ist ganz gewiss erst der Anfang einer wunderbaren Geschichte, voller Dankbarkeit für das, was sein darf, die Kraft der Freundschaft und vieler Dinge mehr, die das Leben wirklich lebenswert machen.
Er habe schon in einigen größeren Städten gelebt, erzählt Hendrik Klingsöhr während unseres kleinen Spaziergangs durch Herrhausen, aber das hier, das fühlt sich wohl richtig wie zu Hause an. Es verwundert uns nicht, denn rund um die Basis aller Geschehnisse – Thudts Hof, der von seinen Freunden Steffen Thudt und Jessica Lange seit 2019 ökologisch wertvoll betrieben wird – findet man das, was man mit einem Augenzwinkern „Harzer Bullerbü“ nennen könnte.

Nach einem kurzen Stopp und freudigem „Hallo“ bei dem Paar, das gerade fleißig dabei ist, den Gemüseanbau und -vertrieb auf einen sicher ertragreichen Sommer vorzubereiten, zieht es uns weiter Richtung Weinberg. Natürlich möchten wir sehen, was Hendrik Klingsöhr so schwärmen lässt – und das ist die wohl schönste Anhöhe weit und breit. Auf 273 Metern stehen, ordentlich in Reihe gezogen, die ersten, von der Sonne geküssten Reben.
Ziemlich unglaublich, welcher Zufall ihn hierhergeführt hat: Suchte er im Rahmen seiner Bachelorarbeit „nur“ nach einem passenden Ort, um für seine Auswertungen eine Wetter-Messstation aufstellen zu können. Sein Thema: Weinbau im Harz. Hendriks Mutter riet: „Frag doch mal die jungen, innovativen Menschen auf Thudts Hof.“ Gern haben die beiden Hendriks Arbeit unterstützt. Niemand konnte ahnen, dass sich schon bald eine Arbeitsgruppe der besonderen Art gründen würde, in der sich Kompetenzen und Talente perfekt ergänzen: Einer bringt das Know-how im Weinbau, die anderen den Boden und die Gerätschaften mit. „Wir haben gemeinsam geschaut, was wir brauchen, um ein Weingut aus dem Boden zu stampfen, und nach einem Jahr Planungsphase losgelegt. Fest stand: Es konnte gut werden.“
Schon nach dem Pflanzen gibt es viele Entscheidungen zu treffen. „Wenn das erste Grün austreibt, sind wir mitten in einem spannenden Prozess. Dann suche ich mir auf den Kopf des Holzes einen Trieb aus, der massiv wirkt, gerade wächst und ein Stamm werden kann“, erklärt Klingsöhr ganz in seinem Element. „Diesen ziehe ich dann hoch wie eine Krone. Das ist schon eine sehr wichtige Aufgabe, denn der bleibt ewig bestehen. Es braucht viel Handarbeit, Feingefühl für die Kultur und die Pflanzen.“
Im Winter wird der Rückschnitt gemacht. Dabei wird ein starker, verbleibender Ast ausgesucht und auf Draht gelegt. „Für mich ist das eine ganz besondere Arbeit. Das, was hier im Moment aus den Knospen wächst und schon aufbrechen möchte, ist der Bereich, an dem später die Trauben hängen. Jede Rebe, die hier Früchte bildet, sorgt im Schnitt für eine Flasche Wein. Hier stehen über 4000 Reben Weißwein – und wenn das Wetter so bleibt, dann haben wir hier im Herbst eine gute Menge Wein, mit der ich schon sehr zufrieden wäre.“
Bis jetzt hat das Team Klingsöhr, Thudt und Lange 7000 Reben gepflanzt, die Trauben für ausschließlich bio-zertifizierten Wein gedeihen lassen. Hier oben kommt keinerlei Chemie zum Einsatz, erklärt der Bio-Winzer. Natürlich müsse man Pflanzenschutz betreiben, aber das mache man auf homöopathische Art und mit Augenmaß.



„Im ersten Abschnitt stehen die 2023 gepflanzten Sorten Muscaris und Solaris, zwei pilzwiderstandsfähige Rebsorten, bei denen man nicht, wie zum Beispiel beim Riesling, auf eine Tradition von 500 oder 600 Jahren, sondern eher auf eine junge Geschichte von 30 bis maximal 60 Jahren zurückschaut. Im Solaris findet sich die Genetik des Rieslings wieder, im Muscaris die des Muskatellers. Im nächsten Block steht schon der Rotwein. Die Reben wurden im letzten Jahr gepflanzt. Hier wachsen die Sorten Laurot, Satin Noir, Cabaret Noir und Pinotin. Was das bedeutet? Wir haben hier so etwas wie Merlot und Spätburgunder.“ Die nächsten Pflanzen sind längst bestellt und werden im Mai erwartet – dann wird der Weinberg in Herrhausen weiter wachsen, und die Vorfreude darauf ist groß.
Hendrik Klingsöhr fällt es leicht, sich schon heute vorzustellen, wie man ganz bald an einem idyllischen Schattenplatz sitzen und eine Pause einlegen kann. Er erlaubt sich, kurz in die Zukunft zu träumen: Ein kleines Plateau, auf dem auch mal ein Event stattfinden kann, eine lange Weinbergstafel, an der gegessen, getrunken und das Leben genossen wird. Zusammen mit Partnern aus der Region lässt sich gewiss Tolles schaffen – vom Picknick in den Weinbergen über ein White Dinner bis hin zu Tanzveranstaltungen oder fröhlichen Hochzeitsfesten ist eine Menge möglich. Das tatkräftige Dreiergespann hat auf jeden Fall große Lust, Neues auszuprobieren – und vor allem keine Furcht, anzupacken, damit Visionen Realität werden.
„Alles, was wir hier machen, bringt schon eine Menge Kribbeln im Bauch mit und viel Vorfreude auf das, was noch kommt.“
An diesem Frühlingstag wie aus dem Bilderbuch können wir auch erahnen, welches Bild sich hier oben in einigen Wochen bieten wird – denn es wurde nicht nur Wein gepflanzt. „Ich bin ja Bio-Winzer durch und durch und habe zwischen den Weinstöcken eine Begrünung eingesät. Im Juni wird es hier überall richtig bunt blühen, summen und brummen. Es ist mir sehr wichtig, dass man heute einfach nicht mehr nur Winzer sein kann. Ich empfinde es als recht arrogant, nur eine Kultur zu pflanzen. Die Unterbrechungen in Form der Streuobstalleen sind bewusst eingeplant. Mit 400 Bäumen und Sträuchern auf dem Areal machen wir uns für die Biodiversität und für Nachhaltigkeit stark. Wir wollen das Morgen bewusst gestalten – nicht zuletzt, weil auch ich möchte, dass meine Kinder noch auf dieser Erde wandeln können. Also gibt es Erdhügel, Bäume, Sträucher, eine Hecke, die das Gelände umsäumt – so können im Grünen die Vögel nisten und die Tiere Unterschlupf finden. Und wenn sie mir dabei ein bisschen Grün wegknabbern, ist das für mich in Ordnung.“



Für Hendrik Klingsöhr ist es sichtlich erfüllend, im Sinne des Großen Ganzen etwas zurückgeben zu können. Und das spürt man wieder – seine tiefliegende Zufriedenheit, ein ansteckendes Gefühl. „Wir haben wirklich unendlich großes Glück!“, stellt er beim Umschauen fest. „Wir haben hier alles an einem Standort: rundherum die wunderbare Natur, unten im Ort den Nettesprung – die Quelle der Nette, die zu den stärksten Karstquellen Niedersachsens zählt. Das große Privileg, an und in der Natur arbeiten zu dürfen, die Lerchen beim Brüten zu beobachten, zu sehen, wie ihre Jungen flügge werden, allein die vielen Bilder von Sonnenuntergängen oder schneebedeckter Landschaft auf meinem Handy – all das ist wunderschön und macht mich superglücklich.
Ich darf mit den Händen etwas schaffen, zusammen mit Menschen kreativ sein – das ist nicht wie Arbeit für mich, es ist ankommen, geerdet sein. Klar, das ist auch oft sehr anstrengend, aber wir sind ja jung und stecken das gut weg.
Was wir möchten, ist Weinbau zum Anfassen betreiben – das heißt, eine hohe Transparenz zu bieten und die Leute auf unserer Reise mitzunehmen.
In der Zukunft zum Beispiel gern Patenschaften für die Reben anbieten, zusammen mit den Erwachsenen Trauben schneiden und ihnen den Wein näherbringen. Klasse wären auch Kurse und Ferienpass-Aktionen für die Kinder, Nistkästen bauen, vielleicht stellen wir auch Kunst aus – weil es ein Ort für Austausch und Genuss werden soll. Das ist der Beitrag, den ich leisten möchte: den Raum für Kreativität, für Diskussionen oder auch einfach nur Wohlbefinden und Entspannung zu bieten.“
Hendrik Klingsöhr ist es wichtig, deutlich zu machen, dass in diesem Zusammenhang nicht immer Alkohol das Mittel der Wahl sein muss: „Bei uns wird es selbstverständlich auch Traubensaft und alkoholfreie Weine geben, denn die Nachfrage ist absolut da.“
Am Weinkeller angekommen, schnappt er sich eine Auswahl seiner erlesenen Tropfen – und es gibt eine Einführung in die Weine des Weinhofs Nettesprung. Die Etiketten zeigen den Umriss des Harzes. „Das ist unsere Art, unsere Heimatverbundenheit zu zeigen.“ Die findet sich übrigens auch auf dem Korken aus recyceltem Bio-Kork und in der Liebe zum Detail. „Der grüne Farbklecks auf der Harz-Silhouette zeigt den Nettesprung – den Ort, an dem die DNA des Weines geschaffen wird. Über das Etikett, Silber- oder Goldprägung, wird auch versucht, die verschiedenen Wertigkeiten der Weine deutlich zu machen.“ Außerdem findet sich das Bioland-Siegel darauf sowie – höchstens – der Vermerk „straight outta vineyard“, was so viel bedeutet wie: direkt vom Weinberg.
„Der Wein entsteht für mich im Weinberg. Ich mache im Keller nicht viel daran. Es ist für mich so ein resilientes Nichtstun, weil ich den Wein oder die Getränke nicht noch einmal nachhaltig verändere. Ich möchte, dass die maximale Herkunft gegeben ist.“
Wie am genussvollen Schluss das Ergebnis resilienten Nichtstuns schmeckt, sollten Sie unbedingt selbst herausfinden. Wir waren durchweg positiv überrascht und begeistert vom „easy drinking Weißwein“, dem Nette Blanc – seinem Aroma und seiner Frische. Haben wir das erwartet? Nein. Der Duft der Früchte, Apfel, Birne und Maracuja, bleibt lange angenehm haften und macht – leider – Lust auf viel mehr von diesem echten Harz-Sommerfeeling-Wein. Wir haben die Befürchtung, dass es vom Solaris-Muscaris gar nicht mehr viel zum Kosten geben wird, wenn Sie diese USCHI-Ausgabe in Händen halten. Aber bitte: Schauen Sie auf Thudts Hof in Herrhausen vorbei, stöbern Sie durch den Hofladen, der täglich zwischen 10 und 19 Uhr geöffnet ist, und fragen Sie gern nach Hendrik Klingsöhr und dem Wein vom Weinhof Nettesprung. Ab Juli wird das Team mit leckerem Gemüse, Kartoffeln, Eiern – und ggf. auch Wein – auf den naheliegenden Wochenmärkten anzutreffen sein. Für mehr aktuelle Infos folgen Sie dem Nettesprung Weinhof und Thudts Hof auf Instagram oder surfen auf weinhof-nettesprung.de.
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Fotos: Dietrich Kühne
Text: Elke Rott